Persönlichkeiten aus Hahnbach - Georg Weiß aus Dürnsricht

Wenn es auf Weihnachten zugeht, taucht in den Familien Weiß immer wieder eine schmerzende Erinnerung auf. In die adventliche Vorfreude mischt sich dann Wehmut und Nachdenklichkeit, verstärkt gerade wieder durch den schlimmen Krieg in der Ukraine. Denn sie denken dann an ihren Vater Georg Weiß, der vor 75 Jahren, genau am 20.12.1947, traumatisiert und schwerkrank aus der Kriegsgefangenschaft heimgekehrt war.

Wie ein zerlumpter, abgemagerter und kranker Bettler sei er damals in seinem Heimatort Wickenricht bei Vilseck angekommen, so dass ihn selbst seine Familie zuerst nicht wiedererkannt hat. Dr. Wolfgang Klarner attestierte ihm eine hochgradige Dystrophie, also einen kranken Gesamtorganismus, der ihn für längere Zeit arbeitsunfähig machte. Auch war er, wie viele andere Kameraden, zu tiefst geschockt, sein ganzes Leben lang nicht in der Lage, seinen Lieben von seinen Kriegs- und Lagererlebnissen zu erzählen.

Wie die Bedingungen im Lager Tiraspol im damals russischen, nun rumänischen Bessarabien, im Westen von Odessa, waren, erfuhr die Familie erst durch einen langen Brief seines Freundes und Lagerkameraden Heinz Grumpe aus Gelsenkirchen. Auch dieser war nie in der Lage, seiner Familie von seinen Erlebnissen zu erzählen. Nur der Familie Weiß schreibt er am 15.12.1985, zwei Jahre nach dem Tod von Georg Weiß am 15.12.1983 (*8.5.1922), über das Weihnachten im Kriegsgefangenenlager. Über diesen „Umweg“ erfuhren schließlich auch seine Kinder später von jenen Jahren.

Georg Weiß musste 1941 zum Kriegsdienst einrücken und war zunächst als "Courierfahrer" in Frankreich und Italien eingesetzt. Am 8.5.1945 wurden er und sein späterer Freund Heinz Gumpe in Benešov südlich von Prag von tschechischen Soldaten gefangen genommen. Im Preßburg übernahmen russische Soldaten die Gefangenen und transportierten sie in Güterwagons mit jeweils 40 Leuten ins Lager nach Tiraspol.

Heinz Grumpe berichtete über das Lager, dass dort aufgrund schlimmer Zustände die Sterblichkeit der Gefangenen mit 23,3 Prozent erschreckend groß gewesen sei und es innerhalb der zwölf sowjetischen Wirtschaftsregionen sogar an erster Stelle mit Verstorbenen gestanden habe. Zu allem Übel war es ein deutscher Lagerkommandant, der dort regelmäßig unmenschliche Grausamkeiten an den Gefangenen begang. So schlug er brutal einen Jeden, und auch die beiden Freunde, regelmäßig mit dem Gewehrkolben grün und blau und fast bewusstlos, als Strafe zum Beispiel für das Abflücken, sprich „Diebstahl“ oder besser „Mundraub“ einer Tomate. Eine kleine Genugtuung für Heinz Grumpe und Georg Weiß war 1949 in Braunschweig die Verurteilung jenes Unmenschen zu sechs Jahren Zuchthaus für seine nachweislichen Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Grumpe erzählte weiter, dass die Arbeit im Lager darin bestand, bis zur völligen Erschöpfung Schutt aufzuräumen, im Steinbruch zu arbeiten, Kohle zu schaufeln und Zement abzuladen. Doch war das Transportieren der schweren Zementsäcke ihre Rettung. Denn bei bis zu minus 20 Grad im Winter halfen sie sich gegen ein Erfrieren ihrer Zehen, indem sie ihre Füße mit dem Papier der leeren Zementsäcke umwickelten.

In ganz besonderer und schmerzhafter Erinnerung blieb den Freunden der Heilige Abend 1945. Erschöpft kamen sie nach Einbruch der Dunkelheit, erst nach all den anderen von ihrer Arbeit zurück, fanden aber in der Baracke keinen Platz mehr. Jeder Zentimeter war belegt und nirgends war auch nur die kleinste Chance auf einen Sitz- oder Liegeplatz. Dazu herrschten Minustemperaturen selbst im Innern der dünnschaligen Unterkunft.

Welche Freude, als Weiß und Grumpe eine alte Zeltplane fanden. Sie wickelten sich zusammen darin ein und schoben sich unter die nur 60 Zentimeter hohen Pritschen. Der nur gestampfte Boden war nass und kalt, doch erschöpft, wie die beiden waren, hatten sie keine andere Möglichkeit, sich hinzulegen. Am Morgen danach hatten selbst Kameraden, die höher lagen, Erfrierungen, erinnerte sich Grumpe. Doch die beiden freuten sich, wieder eine Nacht überlebt zu haben.

Ein wenig Trost schenkte ihnen an jenem denkwürdigen Heiligen Abend ein katholischer Priester. Jener las nämlich aus einem geretteten Buch das Weihnachtsevangelium vor und machte so allen Mut weiterzuleben und sich nicht aufzugeben.

Einen ersten Kontakt zu den Familien daheim gab es für die Lagerinsassen erst im folgenden Sommer 1946. Mit einer Karte durften sie lediglich mitteilen, dass sie noch am Leben sind.

1947, im Jahr darauf, waren die beiden Freunde bereits auf 45 Kilo abgemagert und arbeitsunfähig. Sterbenskrank schickte sie die russische Lagerärztin am 10.12.1947 zurück nach Deutschland, um „keinen Ärger“ mit weiteren Toten vor Weihnachten zu bekommen. Am 15.12.1947 erreichten sie mit einem Zug das Lager Hammelburg. Ausgestattet mit Reiseproviant für drei Tage ging es für Georg Weiß sofort unter Aufbietung sämtlicher Kräfte über Nürnberg und Vilseck in Richtung Heimat, wo er am 20.12.1947 nach einem Fußmarsch vom Bahnhof Vilseck in einem äußerst desolatem Zustand in Wickenricht eintraf, wo man ihn zuerst für einen weiteren Bettler hielt.

Noch lange war dann Georg Weiß auf die Pflege durch seine Mutter angewiesen. Körperlich genesen, heiratete er 1952 Margarete Kugler und zog auf deren Hof nach Dürnsricht bei Hahnbach. Doch, tief traumatisiert, haben weder er, noch Heinz Grumpe, ihren Frauen und Kindern je von den schlimmen Erlebnissen im und nach dem Krieg erzählt. Georg Weiß bekam Leberkrebs und Metastasen und starb, erst 61 Jahre alt, am 15.12.1983.

Am 15.12.1985 gab es durch Heinz Grumpe einen Briefkontakt, in dem er erstmals der Familie Weiß von jenem Weihnachten in der Gefangenschaft in Tiraspol erzählte. Mit seiner Familie konnte auch Gumpe aber noch immer nicht darüber reden. Nach dem Tod seiner Frau lebte der fast blinde ehemalige Apotheker in einem Pflegeheim in Gelsenkirchen, wo ihn Otto Weiß regelmäßig anrief und wo er 2020 im Alter von 96 Jahren (*1924) starb.

So erfuhr der Sohn von Georg Weiß von Heinz Grumpe so manches Erlebnis seines Vaters aus jener Zeit. Und Otto Weiß teilte das Gehörte schließlich auch dessen Kindern mit, mit denen ein freundschaftlicher Kontakt gepflegt wurde; die Tochter hatte auch in jungen Jahren immer wieder in Dürnsricht „Urlaub auf dem Bauernhof“ gemacht. Diese waren äußerst überrascht und natürlich wissbegierig, da ihr Vater auch ihnen gegenüber nicht in der Lage war, von jenen Jahren zu erzählen.



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